Newsletter 3 | 2021

Ambulante Pauschalen – der Tarif der Zukunft

Ambulante Pauschalen nützen allen: Sie sind fair, transparent und unbürokratisch. Und sie helfen, die Kosten im Gesundheitswesen zu dämpfen. In diesem Newsletter informieren wir Sie in regelmässigen Abständen über alle relevanten News und Entwicklungen im Zusammenhang mit der Erarbeitung ambulanter Pauschalen – Ihrem Tarif der Zukunft.

«Ambulante Pauschalen sind praktisch, übersichtlich und transparent»

Prof Michele Genoni Klein

FMCH-Präsident und Mediziner Michele Genoni betont im Interview die Wichtigkeit zukunftstauglicher ambulanter Pauschalen, die einfach anwendbar, fair und wirtschaftlich sind. Es brauche ferner weitere gemeinsame Anstrengungen, um Pauschalen für die gesamte Ärzteschaft zu entwickeln.

Herr Prof. Genoni, warum braucht es ambulante Pauschalen?

Wir erleben auch im Gesundheitswesen eine Zeit grosser Veränderungen. Wir benötigen Antworten auf neue Bedürfnisse und neue Herausforderungen – die Kostenfrage dominiert zu vieles. Damit wächst der Wille, Lösungen zu finden. Die Entwicklung ambulanter Pauschalen ist Teil dieses Prozesses. Die Politik will zudem ambulante Pauschalen neben dem Einzelleistungstarif verbindlich einführen. Ambulante Pauschalen, so sie richtig ausgestaltet werden, sind einfach anwendbar. Sie können helfen, den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu dämpfen.

Welche Vorteile brächten Pauschalen im ambulanten Bereich?

Sie schaffen Transparenz, sind verständlich und übersichtlich und verringern für alle den administrativen Aufwand. Wenn wir Ärztinnen und Ärzte effizienter werden und mehr Zeit für unsere Patientinnen und Patienten erhalten, dann wäre viel gewonnen. Auch wir geben unsere Zeit nicht gerne für Administratives her.

Mit der Erarbeitung der ambulanten Pauschalen wollen die Tarifpartner die Anforderungen an einen modernen Tarif erfüllen. Was heisst das konkret?

Von einem „modernen“ Tarif erwarte ich Allgemeingültigkeit und umfassende Anwendbarkeit. Daran arbeiten wir derzeit gemeinsam, aber wir sind noch nicht soweit. Ich bin nicht nur Präsident der FMCH, ich bin vor allem auch Arzt. Wir reden heute viel von Qualität und Versorgung sowie davon, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist richtig. Ambulante Pauschalen müssen sich also erstens klar an den Bedürfnissen der Patienten orientieren. Zweitens stehen wir alle vor der grossen Herausforderung, ein Tarifwerk für die Zukunft zu schaffen. Es muss deshalb für die gesamte Ärzteschaft anwendbar sein. In die bisher geleistete Arbeit sind die niedergelassenen Spezialärztinnen und -ärzte nicht involviert worden. Das ist ein Fehler, der sich nun auswirkt. In der laufenden Vernehmlassung werden sich die frei praktizierenden Ärzte nun äussern und sagen, was sie mittragen und was nicht. Richtig modern sind wir also dann, wenn wir aus praxistauglichen und für alle anwendbaren ambulanten Pauschalen und einem neuen Einzelleistungstarif das moderne Tarifwerk geschaffen haben.

Die FMCH entwickelt diese Pauschalen mit santésuisse und H+ in der neuen Tariforganisation solutions tarifaires suisses sa. Wie argumentieren Sie als Arzt?

Die medizinische Leistung darf mit einer Pauschale nicht schlechter werden. Als Mediziner muss ich die für den Patienten erbrachte Leistung und die dafür nötige Zeit abgedeckt und im Tarif auch abgebildet sehen. Ambulante Pauschalen müssen also umfassend, fair, ausgewogen und gleichzeitig wirtschaftlich sein.

Vor den derzeit zu erarbeitenden ambulanten Pauschalen hat die FMCH gemeinsam mit santésuisse bereits 75 Pauschalen definiert. Wozu dienen diese nun?

Wir haben Pauschalen entwickelt, lange bevor das Parlament entschieden hat, dass allfällige ambulante Pauschalen auf der Basis des Krankenversicherungsgesetzes verbindlichen Charakter bekommen. Die FMCH ist in diesem Bereich ein Vorreiter. Unsere Mitglieder haben einen klaren Vorteil: Für die laufende Vernehmlassung der neuen ambulanten Pauschalen können sie die ursprünglichen von uns erarbeiteten Pauschalen als Bemessungsgrundlage nutzen, um die neuen Pauschalen zu testen und zu bewerten. Zusammen mit den Einzelleistungstarifen haben wir dank der gemeinsamen Arbeit von FMCH, H+ und santésuisse die Chance, Kosten im Gesundheitswesen pauschal real abzubilden – und nicht auf Grund längst überholter, alter Daten.

Die neuen ambulanten Pauschalen basieren auf realen Kosten- und Leistungsdaten. Ein Quantensprung?

Ein Quantensprung findet statt, sobald die möglichen neuen Pauschalen von der Ärzteschaft anerkannt und auch angewendet werden. Die laufende Vernehmlassung wird zeigen, was noch nötig ist, um so weit zu kommen.

Die solutions tarifaires suisses sa schafft ein datenbasiertes ambulantes Tarifsystem, das den Zusammenhang mit dem stationären Bereich garantiert.

Das Modell ist für den Spitalbereich sicher hervorragend, basierend auf den bisherigen Erfahrungen mit DRG ist das solide. Es ist Aufgabe der solutions tarifaires suisses sa, sicherzustellen, dass die ambulanten Behandlungen aller betroffenen Ärztinnen und Ärzte abdeckt werden können. Ambulante Pauschalen sind dort sinnvoll und gut einsetzbar, wo es klar abgrenzbare und standardisierte Behandlungen gibt, die an einem Patienten an einem Tag vorgenommen werden. Damit könnten heute schätzungsweise 30 Prozent aller praktizierenden Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Das ist ein guter Anfang. Mit diesen neuen ambulanten Pauschalen machen wir also einen wichtigen Schritt. Wir schaffen ein dynamisches Tarifwerk und wir anerkennen, dass ein solches neues System sehr grundsätzliche Veränderungen mit sich bringen wird. Wir haben gewisse Veränderungen längst antizipiert, andere werden folgen. Für die Leistungen, die nicht basierend auf DRG-Daten berechnet werden können, benötigen wir entweder Einzelleistungstarife oder aber weiter entwickelte Pauschalen. Da steht noch sehr viel Arbeit an.

Der neue ambulante Pauschaltarif ist eine Struktur. Der Preis wird erst im Anschluss verhandelt.

Das ist richtig. Und es ist wichtig, dies auch gut zu erklären. Jede Leistung in der Tarifstruktur wird basierend auf realen Kosten- und Leistungsdaten im Vergleich zu allen anderen Leistungen in der Struktur relativ bewertet (als Kostengewicht). Die solutions tarifaires suisses sa erarbeitet und verhandelt keine Preise! Wir erarbeiten lediglich die Tarifstruktur. Die Trennung der Struktur vom Preis ist ein entscheidender Pluspunkt der neuen ambulanten Pauschalen. Wenn die neue Tarifstruktur vom Bundesrat bewilligt wird, beginnen nachher die Verhandlungen der Preise. Es stünde diesbezüglich also noch viel Arbeit an. Die solutions tarifaires suisses sa hat damit aber nichts zu tun.

Wie sieht das weitere Vorgehen aus?

Im Moment läuft die erste Vernehmlassung. Die Befragung wird zeigen, wer innerhalb der Ärzteschaft den Vorschlag für das neue Tarifwerk vor der Einreichung mittragen kann. Das neue Tarifwerk ist ein selbstlernendes System. Grundsätzlich sind Fehler auf die Folgeversion hin korrigierbar. Dennoch möchten wir in der verbleibenden Zeit so viele offene Fragen wie möglich klären.

Bern 19. November 2021